Kommentar: Vom deutschen Volkshelden zum türkischen Sündenbock

Ehemaliger Volksheld Mesut Özil. Foto von Joern Fehrmann

von Tjark Melchert

Tjark Melchert

Der Brief von Mesut Özil ist fast drei Wochen her, aber bewegt unser Land immer noch. Die Rechten feiern, dass er aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist und viele Linke nehmen ihn bedingungslos in Schutz. Beides ist falsch.

Die berechtigte und notwendige Kritik an Özils Fehlverhalten und dem DFB darf nicht einfach den Populisten dieser Republik überlassen werden.

Es kommen viele Fragen auf: Allgemeine Fragen zum Erfolg von deutscher Integration, zu Werten in unserer Gesellschaft und zur Verantwortungslosigkeit des DFB in der Vergangenheit. Diese Fragen gehören diskutiert und vielleicht neu beantwortet.

Von Anfang an wurde es versäumt, mit der Özil-Affäre professionell umzugehen. Es gab keine ordentliche Kommunikation nach Außen und keine Entscheidung, bei der man die Öffentlichkeit mitgenommen hat. Stattdessen wurde der gesamte Konflikt bloß runtergespielt. Man hätte offen und kontrovers über Konsequenzen diskutieren müssen. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, nach dieser Unruhe, Özil und Gündogan für dieses Turnier nicht zu berücksichtigen.

Dass dieser Vorfall runtergespielt wurde und ohne jegliche Konsequenzen blieb, mag vielleicht auch im Zusammenhang stehen mit der Agentur „FAMILY & FOOTBALL“. Diese kleine Beratung vertritt nicht nur die Deutschtürken Mesut Özil und Ilkay Gündogan, sondern auch den deutschen Bundestrainer Jogi Löw. Nicht auszuschließen, dass hier zu einer „Lösungsfindung“ auf kurzen Dienstwegen beigetragen wurde.

 

Vielen Fans scheint der Umgang mit dieser Erdoğan-Affäre nicht geschmeckt zu haben: Spätestens als Özil beim ersten Spiel der Nationalmannschaft massiv ausgepfiffen wurde, hätte der DFB handeln müssen. Ein klares Bekenntnis wäre die einzig logische Konsequenz gewesen, aber auch die blieben aus.

Ebenso, wie jedes spätere Bekenntnis von Özil ausbleibt. Ganz im Gegenteil: Er scheint die Kritik bis heute gar nicht verstanden zu haben. In seiner ersten Erklärung begründet er, warum es für ihn normal und richtig ist, dieses Foto mit Erdoğan auch in dieser Situation gemacht zu haben. Gäbe es also nach all dem keinen Grund es nicht zu wiederholen? Für ihn anscheinend nicht.

Es gelten andere Maßstäbe für einen Sportler Mesut Özil, als für einen Politiker. Aber dass dieses Foto zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden würde, hätte ihm oder zumindest seinen Beratern klar sein müssen.

Es ist ja nicht so als wäre Özils Handeln alternativlos: Der deutsche Nationalspieler Emre Can, der auch türkische Wurzeln hat, hat diesem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan von Vornerein eine Absage erteilt. Nach Özils Interpretation der Dinge geht das einher mit einer Leugnung der eigenen Wurzeln und mangelndem Respekt gegenüber dem Herkunftsland der eigenen Familie. Man kann es auch so verstehen, dass Emre Can sich eine andere Türkei wünscht, als die Aktuelle unter Erdoğan: Eine demokratische, weltoffene, europäische und vielfältige Türkei.

 

Die stattdessen abgelieferte Abrechnungsinszenierung von Mesut Özil in drei Akten war dagegen unerträglich. Diese Darbietung war absolut unprofessionell und einem Spieler seines Niveaus unwürdig: Die Stellungnahmen beinhaltet keinerlei Verantwortungsbewusstsein oder Selbstkritik, aber dafür pauschale Angriffen in alle Richtungen.

Jeder der einmal Fußball gespielt hat, weiß: „Man gewinnt zusammen und man verliert zusammen“. Dafür scheinen die DFB-Funktionäre, wie Grindl und Bierhoff, aber zu viel Selbstsucht und zu wenig Team-Spirit in sich zu haben. Das Krisenmanagement dieses DFB ist insgesamt eine Totalkatastrophe. Zu lange handelt man gar nicht und spielt den Konflikt herunter.

Nach dem frühen Ausscheiden Deutschlands macht die Verbandsspitze Özil dann zum großen Sündenbock, um den eigenen Arsch zu retten. Auch nach oft rassistisch motivierten Angriffen gab es vom DFB kaum Rückendeckung für Özil. Anstatt dagegenzuhalten und ein klares Bekenntnis zu den deutschen Spielern mit Migrationshintergrund abzugeben lässt man Mesut Özil beim DFB fallen, wie eine heiße Kartoffel.

Gilt „Man gewinnt zusammen und man verliert zusammen!“ also nur für Bio-Deutsche?

Nach allem, was in den vergangenen Wochen und Monaten passiert ist, ist der Rücktritt von Özil verständlich und nur konsequent, der Abgang jedoch ist nur peinlich.

 

2014 war unsere Nationalelf die Verkörperung „erfolgreicher Integration“. Dahinter verbergen sich jedoch die selben Spieler, die nach dem diesjährigen Misserfolg „der Mannschaft“ als Problemfälle und Unruhestifter im DFB-Umfeld gehandelt werden.

Viele Verurteilungen waren rassistisch und hier muss man von einem Verband, wie dem Deutschen Fußball Bund, klare Kante erwarten können. Diese klare Kante kann aber erst nach einer sichtbaren personellen Erneuerung an der Spitze dieses Verbands wieder glaubwürdig sein.

Wir können doch eigentlich stolz auf die Vielfalt in unserem Land sein und stolz darauf sein, dass diese Vielfalt sich auch in unserer Fußball-Nationalelf wiederfindet. Diese Vielfalt macht uns stark und mit dieser sind wir 2014 gemeinsam Weltmeister geworden.

Unsere Nationalspieler sind Botschafter unseres Landes und unserer demokratischen Werte.  Sie sind für viele Vorbilder und Helden. Sie repräsentieren unser Land auf dem Spielfeld im Fußball. Diese große Ehre bringt auch große Verantwortung mit sich, der sich die Spieler bewusst sein sollten.

Und natürlich darf sich auch jeder Spieler politisch äußern und sich mit anderen Staatschefs treffen und ablichten lassen. Man denkt gerne zurück an die Fotos von Jürgen Klinsmann mit der Queen nach dem gewonnen EM Finale 1996. Aber kein Spieler der deutschen Nationalelf sollte sich von Despoten für einen Wahlkampf missbrauchen lassen. Das gilt auch für ehemalige Nationalspieler und ist unabhängig davon, ob die Wurzeln in Erlangen oder Eritrea liegen. Der Besuch von Lothar Matthäus bei Vladimir Putin war ebenfalls falsch und steht auch im klaren Konflikt zu den Werten, die unsere Mannschaft eigentlich verkörpern soll: Fairness, Vielfalt und Respekt.

Der einzige, dem dieses ganze Theater wirklich genützt hat, ist Erdoğan, der Özil erst für seinen Wahlkampf nutzen konnte und seinen Rücktritt aus der Nationalelf nun nutzt, um die Deutschtürken weiter zu spalten. Sonst gibt es nur Verlierer: Özil, den DFB und den Zusammenhalt in diesem Land.

Hoffentlich hat diese Geschichte Spieler für ihre Verantwortung und Außenwirkung sensibilisiert, Probleme werden nächstes Mal früher angegangen und offen thematisiert und ausgeräumt. Auch der DFB muss sich seiner Rolle und Verantwortung für Integration und Gemeinschaft wieder bewusst sein. Wenn wir es dann schaffen aus unserer Vielfalt wieder eine Stärke zu machen, werden wir bald auch wieder gemeinsam große Erfolge feiern können.