Beitritt zur Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angemessene Geschwindigkeiten“

Hagen Schink

Rede Dr. Hagen Schink Ratssitzung Stadt Gifhorn 23.09.2023

am 05.10.2021 beschloss der Rat der Stadt Gifhorn mit großer Mehrheit das Leitbild Mobilität 2030 [1]. Konkret wurde mit dem Beschluss der Planfall 3 „Klimaschutz-Szenario“ zur Grundlage für die zukünftige Verkehrsplanung der Stadt.

Der Beschluss zum Leitbild Mobilität 2030 ist in zweierlei Hinsicht wegweisend. Zum einen erkennt der Rat der Stadt damit die eigene Verantwortung und die Notwendigkeit an, die Klimakrise auch mit Maßnahmen im Verkehrssektor zu bekämpfen. Zum anderen wurden notwendige Maßnahmen beschlossen, die nach damaliger und heutiger Rechtslage nicht oder nur schwer umsetzbar sind. Konkret sei an dieser Stelle die Maßnahme 103 genannt, die lautet:

Ausweitung der Verkehrsberuhigung durch flächendeckende Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h im Kernstadtbereich (i.W. Bereich innerhalb des Tangentenvierecks, wird gebildet aus B4, B188, K114 und Wolfsburger Straße – Braunschweiger Straße – Alfred-Bessler-Straße im Süden)

Auch andere Städte und Gemeinden sahen sich bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Umstand konfrontiert, dass das aktuelle Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die daraus abgeleitete Straßenverkehrsordnung (StVO) wenig Spielraum zur Umsetzung von Maßnahmen lassen, die weitere Aspekte als nur die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs betrachten. Aus diesem Umstand heraus gründeten die Städte Freiburg im Breisgau, Leipzig, Aachen, Augsburg, Hannover, Münster und Ulm im Juli 2021 die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ [2].

Seit ihrer Gründung wächst die Initiative kontinuierlich und hat mit Stand vom 25.09.2023 943 Mitglieder. Darunter fünf Gemeinden aus dem Kreis Gifhorn: Meine, Vordorf, Tiddische, Adenbüttel und Rühen. Für den August 2023 bei einem Stand von 914 Mitgliedern liegt eine Analyse der Parteizugehörigkeit der jeweiligen Gemeindebürgermeister:innen vor [15], die sich wie folgt in absteigender Reihenfolge darstellt:

  1. CDU (293)
  2. Parteilose (211)
  3. SPD (207) – darunter die Gemeinden Meine, Vordorf und Tiddische
  4. Sonstige (104)
  5. Freie Wähler (41)
  6. Grüne (29)
  7. FDP (11)
  8. Die Linke (4)

Inzwischen zeigt die Initiative erste Erfolge hinsichtlich der Anpassung der StVO, denn am 15.6.2023 hat das verantwortliche Bundesministerium für Digitales und Verkehr den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes verschiedenen Verbänden und Organisationen zur Kommentierung zukommen lassen. Da die Frist bei zwei Tagen lag, liegen bereits erste Stellungnahmen vor. Konkret habe ich mir unter anderem die Stellungnahmen der folgenden Verbände angeschaut:

  • ADAC [3]
  • ADFC [4]
  • Agora Verkehrswende [5]
  • BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. [6]
  • bdo Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen e.V. [7]
  • Changing Cities e.V. [8]
  • Deutscher Städtetag [9]
  • Deutscher Städte- und Gemeindebund [10]
  • Deutsche Umwelthilfe [11]
  • Deutscher Verkehrssicherheitsrat [12]
  • Verbraucherzentrale Bundesverband [13]
  • Zentralverband des Deutschen Handwerks [14]

Einige der Verbände und Organisationen machen in ihren Stellungnahmen klar, dass ohne zügige Verabschiedung der Änderung des StVG und der dann notwendigen Anpassung der daraus abgeleiteten StVO schlecht ermessen werden kann, ob die von vielen Verbänden und Organisationen geforderte Flexibilität in der Praxis ankommen wird. Es gilt also den Druck auf den Gesetzgeber weiter hoch zu halten, um eine Anpassung der StVG und StVO im Sinne der Städte und Gemeinden zu erreichen. Dies können wir beeinflussen indem wir die Initiative mit unserem Beitritt verstärken.

Mit dem Beitritt zur Initiative senden wir außerdem ein klares politisches Signal in die Stadt selbst, denn dann ist klar, dass auch der neu gewählte Rat an dem mit großer Mehrheit beschlossenen Leitbild Mobilität 2030 festhält und aktiv daran arbeitet, die notwendigen Änderungen beim Bund einzufordern. Gerade in Zeiten schwindenden Vertrauens in die politischen Institutionen sind wir als Vertreter:innen dieser Institutionen gefordert durch aktives politisches Handeln die Glaubwürdigkeit der Institutionen zu bewahren und das Vertrauen der Bürger:innen in diese zu stärken.

Jedes Jahr sehen wir, wie der menschengemachte Klimawandel sich immer extremer auf das Leben auswirkt. Vor zwei Jahren, kurz vor der Verabschiedung des Leitbilds Mobilität, hat sich quasi vor unserer Haustür im Ahrtal konkret gezeigt, welche Wetterextreme und deren existenzvernichtenden Folgen uns auch hier in Deutschland in immer kürzeren Abständen drohen, wenn wir nicht handeln. Der vorherige Rat hat dies erkannt und uns einen, wie ich bereits sagte, wegweisenden Beschluss mitgegeben. Es liegt nun also an uns, der uns übertragenen Verantwortung gerecht zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass das Leitbild Mobilität 2030 in Gänze umgesetzt werden kann. Die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ist zur Zeit die vielversprechendste, wenn nicht sogar einzige Möglichkeit, um die durch Bundesgesetze und -verordnungen gesetzten Beschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung aufheben zu können. Eine Unterschrift des Bürgermeisters und wir sind dabei. Mehr bedarf es nicht. Ich finde, wir sollten diese Möglichkeit nutzen.

[1] Verwaltungsvorlage IX/0775

[2] Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindkeiten – Positionspapier

[3] ADAC

[4] ADFC

[5] Agora Verkehrswende

[6] BDEW

[7] bdo

[8] Changing Cities e.V.

[9] Deutscher Städtetag

[10] DStGB

[11] Deutsche Umwelthilfe

[12] DVR

[13] Verbraucherzentrale Bundesverband

[14] Zentralverband des Deutschen Handwerks

[15] Lebenswerte Städte – Mitglieder