Zukunftsvertrag für die Landwirtschaft entwickeln – Lebensgrundlagen schützen

Antrag an den Landesparteitag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Wolfenbüttel

Kreisverband Gifhorn – Vertreten durch Henrik Werner

Zukunftsvertrag für die Landwirtschaft entwickeln – Lebensgrundlagen schützen

Die Proteste der Landwirt*innen zeigen, dass wir eine andere Form der Landwirtschaft brauchen. Durch die Versäumnisse der Regierungsparteien wurden jahrzehntelang rein wirtschaftlich motivierte Wachstumsstrategien angewendet, welche die Landwirt*innen ungewollt in einen Konflikt mit berechtigten gesellschaftlichen Interessen gebracht haben.

Die Produktionsintensivierung nach Ende des zweiten Weltkrieges mit dem Ziel der Versorgung aller Bürger*innen mit guten und günstigen Lebensmitteln hat sich bis heute fortgesetzt. Steigendes Angebot führt zu fallenden Preisen. Der Wert von Lebensmitteln wurde vom Preis entkoppelt. Die Regierung hat den Weg verfolgt die Landwirtschaft zu intensivieren, um auf dem Weltmarkt mithalten zu können. Skaleneffekte (Economies of Scale) durch steigende Produktionsmengen (und damit auch steigende Unternehmensgrößen) haben dazu geführt, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von 2 Millionen Höfen im Jahr 1950 auf heute 250.000 Höfe geschrumpft ist. In diesem aktuellen System werden nur die Größten überleben. Wir müssen das System ändern und definieren, wo die Grenzen liegen. Gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten muss ein Zukunftsvertrag entworfen werden, der Planungssicherheit und faire Einkommen bietet und gleichzeitig unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen schützt sowie die Nachfrage nach regionalen und ökologischen Lebensmitteln fördert.

Kommt es zu keinem derartigen System, wird die Logik „Wachse oder Weiche“ immer weiter zur Konzentration auf wenige Großunternehmen führen und der Marktdruck das Höfesterben weiter beschleunigen. Während in Niedersachsen und Deutschland über Nitratüberschüsse und zu hohe Tierzahlen diskutiert wird, soll genau dieses System an einigen Orten wie im Landkreis Gifhorn aktuell sogar noch weiter intensiviert werden. Es gibt Planungen, eine Reihe von Hühnermastanlagen zu erweitern. Eine der größten Mastanlagen soll auf 285.500 Hühner vergrößert werden. Wir setzen uns für ein System ein, in dem Landwirt*innen aus marktwirtschaftlichen Gründen heraus ihre Betriebe nicht immer weiter vergrößern müssen, sondern für gute Lebensmittel auch faire Preise erzielen können und Tier- und Umweltschutz finanziell berücksichtigt werden.

Tiere haben Rechte

Die höchsten Exporterlöse im Agrarhandel erzielen Fleisch und Fleischerzeugnisse mit 9,8 Milliarden Euro. Bis 2006 wurde mehr Fleisch im- als exportiert. Seit 2007 übersteigen die Fleischausfuhren die Einfuhren. Heute geht etwa die Hälfte des Fleisches aller inländischen Schlachtungen in den Export [1]. Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 771.249.836 Landtiere geschlachtet [2]. Massentierhaltung führt zwar zu wirtschaftlichem Wachstum, doch es sind Lebewesen, die in diesem System zu rein monetären Kennzahlen werden. „Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?“ stellte Jeremy Bentham bereits um 1800 zur Diskussion. Mittlerweile können wir nicht nur die letzte Frage, sondern aufgrund von zahlreichen Erkenntnissen in der Verhaltensforschung auch die ersten beiden Fragen immer mehr mit Ja beantworten. [3]. Das System darf Lebewesen nicht als reine Rohstofflieferanten und Produkte betrachten. Tiere sind fühlende und denkende Lebewesen, die auch als solche zu behandeln sind. Tiere als Produkte zu behandeln sollte in starkem Widerspruch zu grünen Werten stehen und sich in einem Grundsatzprogramm wiederfinden. Der Landesverband setzt sich daher dafür ein ein, dass Tierschutz und Tierrechte mehr als nur einen Satz – wie im aktuellen Zwischenbericht zum Grundsatzprogramm – erhalten und das Thema ein eigenes Kapitel im neuen Grundsatzprogramm erhält, wie es auch im aktuell noch gültigen Grundsatzprogramm der Fall ist („Tiere brauchen Rechte“ S. 40). Im Grundsatzprogramm muss unser Respekt vor jeglichem Leben deutlich werden und dass wir uns als eine Partei verstehen, die auch gerade bei diesem Thema denjenigen eine Stimme gibt, die selber keine haben und ihre Grundbedürfnisse schützt. Die Grundbedürfnisse müssen nach Beat Tschanz (1920 – 2013) dahingehend abgewogen werden, ob ein Tier der gleichen Art und Rasse in seinem Verhalten alle Merkmale zeigen kann, die es auch unter natürlichen Bedingungen zeigen würde

(Verhaltensgerechtigkeit nach § 2 Nr. 1 TierSchG). In der Massentierhaltung ist dies offensichtlich nicht gegeben. Exemplarisch sei hier die Kastenstandhaltung von Sauen genannt, in denen eine Sau mit Unterbrechungen sechs Monate im Jahr verbringt. Im Kastenstand – der nur etwas größer als die Sau selbst ist – ist es der Sau nicht möglich, sich umzudrehen oder sich zu bewegen. Gängige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz müssen abgestellt werden.

Rechtlich fordern Bündnis 90/Die Grünen ein vollwertiges Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen gefordert, das neben der Feststellungsklage auch die Möglichkeit zur Erhebung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sowie Mitwirkungsrechte ermöglicht. Die Amtstierärzt*innen müssen unabhängig von kommunalen Strukturen handeln können, damit der Vollzug des Tierschutzgesetzes nicht wegen der Befürchtung von Repressalien behindert wird. Personalkapazitäten in der Justiz und bei den Veterinärämtern müssen ausgebaut werden. Nicht zuletzt im Interesse der Landwirt*innen müssen Kontrollen regelmäßig stattfinden (derzeit im Mittel alle 13 Jahre). Unregelmäßige Kontrollen führen dazu, dass eine gesamte Branche aufgrund Einzelner in Verruf gerät und diejenigen wirtschaftliche Vorteile auf Kosten von Lebewesen erlangen, die sich nicht an geltendes Gesetz halten [4].

Landwirtschaft – Systemwechsel

Die Landwirtschaft verliert den Kontakt zu den Kund*innen und auch zu den eigenen Produkten. Die Ernte landet entweder in den großen Supermärkten, in Fabriken oder als Futter in der Massentierhaltung. Lebensmittel sind zu derart günstigen Preisen verfügbar, sodass wir das Angebot nicht weiter erhöhen dürfen. Landwirtinnen und Landwirte sind selber nicht glücklich, wenn ein Kalb nur noch einen Wert bzw. Verkaufspreis von unter 9€ hat. Sie erliegen aber einem System, das ihnen wenig Spielräume für ökologische Belange oder Tierwohl lässt. Die Marktpartner – Handel und Ernährungswirtschaft – sind in den wenigsten Fällen „Partner“, sondern spielen Landwirt*innen gegeneinander aus und drücken die Preise. Die Verhandlungsmacht der Landwirtinnen und Landwirte, insbesondere gegenüber großen Handelsketten, muss daher gestärkt werden.

Der starke Rückgang an Feldvögeln und Insekten, erhöhte Nitratwerte im Grundwasser, antibiotikaresistente Keime, der Klimawandel und Emissionen stehen u.a. im Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Doch damit nimmt sich die Landwirtschaft selbst ihre eigenen Lebensgrundlagen, befindet sie sich schließlich in einer besonderen Abhängigkeit von einer intakten Natur und Umwelt. Die Landwirtinnen und Landwirte brauchen ein System, das ihnen ermöglicht Veränderungen zu realisieren und verträglich mit ihren Lebensgrundlagen zu wirtschaften. Die hohen landwirtschaftlichen Subventionen erlauben der Gesellschaft ein Mitspracherecht, müssen sich aber auch mit den gesellschaftlichen Forderungen decken und nach qualitativen Kriterien erfolgen. Daher setzt sich Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen dafür ein, dass die erste Säule der EU-Agrarförderung (Direktzahlungen) umgebaut wird. Die Förderungen sollen nach einem Punktesystem erfolgen und müssen einen Anreiz für mehr Tier-, Umwelt-, Natur- und Klimaschutz bieten. Auch zusätzliche Anreize auf der Landesebene sind nach diesem Ziel auszurichten.

Zudem setzen wir Grüne uns für die Einführung einer transparenten und verpflichtenden Kennzeichnung ein, damit aufgrund von Qualitätsmerkmalen höhere Preise erzielt werden können. Bei Eiern ist der Erfolg einer solchen Kennzeichnung schon sichtbar. 2013 haben Verbraucher*innen rund neun Prozent Bio-Eier gekauft, 2016 bereits 11,6% [5]. In der Freilandhaltung lebten 2007 10,9% der Legehennen und 2018 18,2 % [6]. Die Kennzeichnung nicht nur bei Eiern muss dabei auch auf verarbeitete Lebensmittel ausgeweitet werden. Die Kennzeichnungen auf den Verpackungen müssen für alle tierischen Lebensmittel verpflichtend sein und unmissverständlich deutlich machen, unter welchen Bedingungen ein Tier gehalten wurde. Die Kosument*innen müssen sich mit den Bedingungen auseinandersetzen (können). Alternative Formen der Landwirtschaft, die wieder eine direktere Verbindung der Konsument*innen zur Landwirtschaft und zu den Lebensmitteln ermöglichen, wie bspw. solidarische Landwirtschaft oder die direkte Vermarktung oder Verarbeitung von regionalen Lebensmitteln, sollen gefördert werden. Eine Kennzeichnung regionaler Produkte zur Stärkung derselbigen muss etabliert werden.

Lebensmittel müssen als unsere wichtigsten Produkte wertgeschätzt werden und verdienen deshalb einen Preis, der nicht unter den Produktionskosten liegen darf. Milch darf als ein Produkt, das die Geburt eines Kalbs und die Existenz eines Lebewesens erfordert, nicht günstiger als vergleichbare pflanzliche Alternativen sein. Die Fähigkeiten, die ein Lebewesen dazu befähigen, ein gutes Leben zu führen, müssen geschützt und gefördert werden. Die Fähigkeitenliste der US-amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum definiert u.a. Schmerzempfinden und Leidensfähigkeit, woraus sich der Anspruch ableitet, dass einem Tier vor Leid oder Schmerzen bewahrt werden muss. Dazu zählen aber auch die Fähigkeiten soziale Bindungen einzugehen, Vorstellungskraft und die Fähigkeit zu denken, ein komplexes Gefühlsleben, Spiel- und Spielverhalten uvm. Die Aufwände zum Schutz und zur Förderung dieser Fähigkeiten müssen sich im Preis – in der Form eines Preisaufschlags, der an die Umsetzung gebunden ist – widerspiegeln. Die Landwirtinnen und Landwirte müssen unmittelbar von diesem höheren Preis oder einem Preisaufschlag profitieren, damit die Landwirtschaft aus sich selbst heraus diese Fähigkeiten schützen und fördern kann. Die steuerliche Bevorteilung von tierischen Lebensmitteln gegenüber pflanzlichen Alternativen muss abgebaut werden.

Wir fordern Land und Bund dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass bei den Handelsabkommen der EU die Importe nach qualifizierten Anforderungen erfolgen, die auch an die inländische Landwirtschaft gestellt werden (qualifizierter Marktzugang). Anforderungen in Deutschland an Tier-, Natur- und Umweltschutz sowie sozialen Anforderungen dürfen nicht durch Importe unterwandert werden.

Die Auswirkungen neuer Maßnahmen auf die Betriebe müssen analysiert und Angebote bereitgestellt werden, wie Mehrkosten getragen werden können. Das Grundwasser und Gewässer müssen vor Nitrat geschützt werden, aber die Betriebe müssen bei Maßnahmen zur Verschärfungen der Düngeverordnung unterstützt und beraten werden. Baumaßnahmen für mehr Tierwohl müssen unbürokratisch möglich sein und finanziell unterstützt werden, für Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Der Antibiotikaverbrauch in der Landwirtschaft muss drastisch reduziert werden. Reserveantibiotika in der Tierhaltung müssen verboten werden.

Der Bund wird aufgefordert Änderungen am Baugesetzbuch zu prüfen, die sich am Bundesimmissionsschutzgesetz orientieren, um privilegierte Anlagen im Außenbereich verhindern zu können. Die Berechnung der Futtergrundlage muss verschärft werden und den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Die eigenen Flächen und die darauf angebauten Pflanzen müssen den Futtermittelbedarf der jeweiligen Tiere zu 100% decken können. Gemeinden müssen die Möglichkeit bekommen Genehmigungen für Mastanlagen verweigern zu können. Die Privilegierung hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren riesige Tierfabriken gebaut wurden, im Landkreis Gifhorn zum Beispiel mit bis zu 200.000 Tierplätzen.

Alternative Schlachtungsformen müssen wieder ermöglicht, unnötige Transporte verhindert werden. Das Land muss sich dafür einsetzen, dass Hofschlachtungen oder mobile Schlachtungen nicht nur ermöglicht, sondern auch gezielt gefördert werden.

Wir als Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen wollen außerdem den ökologischen Landbau stärken. Niedersachsen ist hier immer noch bundesweites Schlusslicht. Der ökologische Landbau muss durch das Land in der Beratung, Aus- und Weiterbildung weiter gestützt werden. Die Lehrpläne und Prüfungsordnungen der Landwirtschafts- und Berufsschulen müssen entsprechend angepasst, Umwelt-, Natur-, Wasser-, Klima-, Tierschutz und Tierrechte müssen verstärkt thematisiert werden. Den Landwirtinnen und Landwirten müssen zukunftsweisende Berufsperspektiven aufgezeigt werden. Der Fokus in der Ausbildung muss auch auf Nachhaltigkeit liegen und sich in den Betrachtungen von Deckungsbeiträgen und Wirtschaftlichkeitsrechnungen wiederfinden. Die Kosten für nicht nachhaltiges Handeln müssen in die in der Ausbildung vermittelten Rechenmodelle einfließen, die letztendlich als Entscheidungsgrundlage dienen. Ferner muss auch die weitere Erforschung und Vermittlung von Wissen ausgebaut werden, wie Tiere gemäß ihres natürlichen Verhaltens und unter Berücksichtigung des Schutzes und der Förderung ihrer Fähigkeiten gehalten werden können. Dazu zählt auch eine Steigerung des Ausbildungs- und Lehrkräfteangebots. Die Pflichtstunden für Ökolandbau sind deutlich zu erhöhen. Nur im Gleichklang zwischen der Stärkung des ökologischen Landbaus und einem System, das ökologisches Wirtschaften, Tier-, Klima- und Umweltschutz auch in der der konventionellen Landwirtschaft finanziell ermöglicht und berücksichtigt, erreichen wir eine nachhaltige Landwirtschaft.

[1] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hg.) (2018): Agrarexporte verstehen. Fakten und Hintergründe. Berlin.

[2] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2019): Viehbestand und tierische Erzeugung im Jahr 2018, zuletzt geprüft am 19.10.2019.

[3] Carolynn L. Smith und Sarah L. Zielinski (2015): Verhaltensforschung: Schlaue Hühner. In: Spektrum der Wissenschaft (5). Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/news/schlaue-huehner/1342910, zuletzt geprüft am 07.02.2020.

[4] Diehl, Elke und Tuider Jens (Hg.) (2019): Haben Tiere Rechte? Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn.

[5] TopAgrar Online (2019): https://www.topagrar.com/gefluegel/11-bio-eier-im-deutschen-handel-11520910.html, zuletzt geprüft am 09.02.2020

[6] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Statistik und Berichte des BMEL, Legehennenhaltung nach Haltungsformen (Zahlen von 2018). https://www.bmel-statistik.de/landwirtschaft/tierhaltung/gefluegelhaltung/, zuletzt geprüft am 09.02.2020

Henrik Werner